JENS HARZER IST NUN IFFLANDPREISTRÄGER
EINE WÜRDIGUNG AUS DDR FAZ
Er, der das Wort hochhält gegen die zerfallende Welt
Ein Traumtyp ganz eigener Art: Mit dem Schauspieler Jens Harzer bekommt genau der Richtige den Iffland-Ring
Es ist eine so großartige wie folgerichtige Wahl: Bruno Ganz hat Jens Harzer als seinen Nachfolger auserkoren und ihm den Iffland-Ring übergeben. Wie das österreichische Kulturministerium zwei Tage nach Ganz’ Beerdigung auf dem frühlingshaft sonnenbeschienen Züricher Friedhof Rehalp verkündete, ist der 1972 in Wiesbaden geborene Harzer testamentarisch von Ganz als sein Nachfolger festgelegt worden. Der diamantbesetzte Eisenring aus der Goethe-Zeit ehrt den „bedeutendsten und würdigsten“ deutschsprachigen Schauspieler seiner Tage in Erinnerung an den Theaterdirektor und Schauspieler August Wilhelm Iffland und wird seit dessen Tod immer an einen Nachfolger weitergereicht. Als weibliches Pendant wird seit 1978 der Alma-Seidler-Ring vergeben.
Die renommierte Ehrung auf Lebenszeit wird damit einem Schauspieler zuteil, der wie kein zweiter das darstellerische Erbe von Bruno Ganz verkörpert. Mit seinem zögernden, fast scheuen Auftreten, der vorsichtig Wörter und Ausdruck zerdehnenden und doch zusammenhaltenden Diktion, die ebenso schnell in einen Verzweiflungsschrei wie ein gellendes Lachen umkippen kann, verkörpert er nicht einfach den von der Moderne gebrochenen Helden, sondern einen Traumtypen ganz eigener Art. Jens Harzer, den Dieter Dorn Anfang der Neunziger nach nur einem Jahr Schauspielschule an die Münchner Kammerspiele engagierte, fiel in Inszenierungen von Koltès’ „Roberto Zucco“, Goethes „Torquato Tasso“ oder Kleists „Amphitryon“ schon früh als eigentümlich sensibler Darsteller auf. Um die Jahrtausendwende ging Harzer eine kurze Liaison mit dem Berliner Schaubühnen-Chef Thomas Ostermeier ein, die sich aber wegen fundamental gegensätzlicher Theateransätze nach nur einer Inszenierung wieder auflöste. Zurück bei Dorn, der inzwischen ans Münchner Residenztheater gewechselt war, spielte Harzer vor allem in zeitgenössischen Stücken von Don DeLillo, Marius von Mayenburg und Botho Strauß. Mehr und mehr eroberte er sich dabei die Bühne als Experimentierfeld für introvertierte Extravaganzen und erarbeitete sich einen eigenen, unverwechselbar stillen Stil.
Als Publikumsliebling mit „James Dean-Qualitäten“ gefeiert, machte er immer wieder auch Ausflüge zu anderen Theatern, spielte etwa unter der Berliner Regie von Jürgen Gosch einen unvergesslichen Astrow in „Onkel Wanja“ oder in Andrea Breths Salzburger Adaption von Dostojewskis „Schuld und Sühne“. Die Zusammenarbeit mit so unterschiedlichen Regisseuren wie Jan Bosse, Stefan Pucher, Dimiter Gotscheff und Luc Bondy haben ihn geprägt und in seinem feingliedrig fiebrigen Spiel stetig sicherer werden lassen. 2009 wechselte er nach sechzehn Jahren unter Dorn ans Hamburger Thalia Theater und gab dort einen umjubelten Don Carlos. Seinen neusten Vertrauten scheint Jens Harzer in Johan Simons gefunden zu haben, unter dessen Regie er im vergangenen Jahr in Salzburg an der Seite von Sandra Hüller in einer großartigen „Penthesilea“- Inszenierung zu sehen war.
Den Verlockungen des Films gegenüber hat Harzer sich bisher bis auf wenige Ausnahmen enthaltsam gezeigt. In der Rolle eines katholischen Priesters war er in Hans-Christian Schmids „Requiem“, als lebensmüder Vertreter in Bülent Akincis „Lebensversicherer“ zu sehen. Auch im Fernsehen tritt er hin und wieder in der Kriminalfilm-Reihe „Tatort“ oder glanzvollen Großproduktionen wie „Babylon Berlin“ auf. Seine wahre Leidenschaft aber gehört dem Theater, der offenen Bühne, auf die der ehemalige Mittelstreckenläufer tritt wie ein von Düsternis Geplagter, den plötzlich die Lust nach Freiheit überkommt.
Zu Harzer reicht eine geheime Verbindungslinie von Alexander Moissi über Oskar Werner bis hin zu ebenjenem Bruno Ganz, dem er jetzt nachfolgt. Von ihm, seinem großen Idol, mit dem Jens Harzer schon früh verglichen wurde, hat er einmal gesagt: „Er vermag die eigene Sprache gegen die Welt zu halten, als könne man so die Verweildauer der Wörter um Sekunden erhöhen.“ Mit dem Ring geht dieser Auftrag nun an ihn über. Sein bisheriges Wirken hat gezeigt: Er ist genau der Richtige dafür.SIMON STRAUSS
Das ist aber ein lieber Junge, der da auf die Bühne des ehemaligen Salzburger Stadtkinos schlurft! Sehr höflich, stets sehr freundlich lächelnd, immer ein (gutes?) Buch zur Hand. Der wortlosen Eiseskälte in der Familie seiner Freundin setzt er seine eigene Coolness entgegen. "Der Name" heißt das Stück von dem Norweger Jon Fosse, das am 6. August 2000 als Ko-Produktion der Salzburger Festspiele mit der Berliner „Schaubühne am Lehniner Platz“ unter der Regie von Thomas Ostermeier in deutscher Übersetzung uraufgeführt wurde.
Schuberts "Winterreise“ habe er sich während der Rollenarbeit immer wieder angehört, sagt der junge Schauspieler Jens Harzer. „Warum lächelt der junge Mann? Selbstschutz, Scheu, Angst…womöglich auch eine Verachtung der Familie gegenüber, die er in Höflichkeit bündelt. Das Fremdsein drückt sich im Körper anders aus als im Gesicht, der Körper will weg, und man sitzt doch in der Gegend herum. Im Laufe des Stücks verändert sich die Figur aber, sein Gesicht wird immer verschlossener. Als einziger zieht er die Konsequenz, er verlässt das Haus als Fremder.“
Abgründe der Seele: immerhin ist die Freundin schwanger, der junge Mann entzieht sich der Verantwortung, ist ebenso wenig wie die Familienmitglieder in der Lage, sich zu artikulieren. Das Herz : die Mördergrube lauter toter Gefühle. Wie Harzer das spielt, lauert der Schrecken der Wortlosigkeit, der Sprachverweigerung in allen Ecken……
Das ist aber ein lieber Junge, der da neben einem im Salzburger Cafe „Tomaselli“ sitzt, ein bisschen schlaksig, mit unendlich traurigen braunen Augen und einem schmalen, blassen ernsten Gesicht. So einer weckt sämtliche Mutter- und Vatergefühle, die in der Umgebung abrufbar sind.
So muss es auch Jörg Hube ergangen sein, als er Jens Harzer bei der Aufnahmeprüfung für die Münchner Falckenberg-Schule „durchboxte“. Davor war Harzer bereits von der Folkwangschule in Essen abgelehnt worden. Heute hat er sogar Verständnis dafür: „Das sind doch immer ganz subjektive Wahrnehmungen der Prüfer, wenn man da als 18jähriger anrückt und etwas vorspielt. Ich würde da niemandem einen Vorwurf machen. Man kommt aus einem kindlichen Nichts, und da gucken Leute zu, die müssen dann sagen, ob das gut oder spannend ist. Das gehört wohl dazu, dass Leute, die etwas können, zuerst abgelehnt werden, oder erst später, oder auch nie entdeckt werden, oder manche sofort, die vielleicht nach drei Jahren Schule völlig geheimnisvoll sind. Als ich von Essen nach Hause gefahren bin, habe ich so etwas wie Scham empfunden: die Scheu wächst durch Ablehnung.“
Wird man da nicht zum großen Philosophen, wenn man am eigenen Leib erfährt, dass ein einziger Mensch, in diesem Fall Jörg Hube, die Weichen für die Zukunft stellen kann?
Harzer: „Das hat sich mir von Anfang an dargestellt, wie sehr dieser Beruf vom Glück abhängig ist. Nach bestandener Aufnahmeprüfung für die Schauspielschule gibt es ein halbes Probejahr, dann findet wieder eine Prüfung statt, die über die Möglichkeit des Weiterstudiums entscheidet. Drei Wochen vor dieser Prüfung sagte ein Lehrer zu mir, dass ich ein sehr schmales Talent hätte. Ich habe gelacht und frech gesagt: ,Aber wenigstens Talent, oder ?' Gleich nach der Prüfung machte Christian Stückl seine zweite Inszenierung an den Münchner Kammerspielen: ,Viel Lärm um Nichts' und holte mich für eine kleine Rolle.“
Mittlerweile zählt Harzer zu den jungen Stars der „Kammerspiele“, hat mit Regiestars wie Dieter Dorn, Herber Achternbusch, Peter Zadek oder jetzt, in Salzburg , mit Thomas Ostermeier gearbeitet. Er hat den Urfaust und den Tasso gespielt.
Welche Eigenschaften sollte ein Regisseur haben, dem sich Harzer gerne anvertraut? „Ganz utopisch formuliert, ist es der Zauber, der von einer Arbeit ausgeht, von der gemeinsamen Beschäftigung mit dem Stück, die womöglich dann zur Verführung wird, in welcher Handschrift auch immer. Voraussetzung ist der gemeinsame Traum von einer Arbeit. Man folgt ja auch gerne Gedanken, die man selber noch nicht gehabt hat.“
Obwohl die „Kammerspiele“ die künstlerische Heimat von Harzer war, hat er auch neugierig - und mit von Kritik und Festspiel-Publikum hochgewürdigtem und respektiertem Ergebnis - als Gast mit den „Schaubühnen“- Leuten zusammengearbeitet. Braucht Harzer das familiäre Umfeld eines gewachsenen Ensembles für die künstlerische Arbeit? „Ich habe das bisher jedenfalls geglaubt. Hier in Salzburg war ich sozusagen zum ersten Mal in der Fremde. Es war nicht einfach. Gerade, wenn man wie ich literarisches Theater machen möchte, das Stück und den Dichter ernst nimmt, wenn man an die Macht des Wortes und die Macht der Literatur glaubt, dann wächst der Wunsch, dem Stück und der Welt seines Dichters etwas abzutrotzen, ihr nahezukommen, einen eigenen Keil reinzuschlagen oder sich vollkommen verwandeln zu lassen. Das bedeutet nicht, das ich grundsätzlich etwas ausschließe, etwa die Fragmentierung von Stücken. Aber nehmen wir zum Beispiel Kleist: den braucht man doch nicht zu zertrümmern, der zeigt uns doch die Verhackstückung unserer Seelen. Je tiefer man in ein Material hineinschaut, desto mehr zeigt es seine Kehrseiten, die verschlossenen Seiten, desto mehr zeigt es auch, wie fremd es bleibt: das sollte man auch zum Thema seiner Vorstellung machen.“
Irgendwann hat der junge Schauspieler in einem Interview den Vorsatz formuliert, im Privatleben das Dramatische möglichst ausschließen zu wollen. Ist das bisher gelungen? „Das hab ich zu einer Zeit gesagt, wo ich in München sieben Rollen auf einmal spielte. Ich wollte damit ausdrücken, dass ich zwar nicht konfliktscheu bin, aber im Privaten, zum Beispiel mit meiner Freundin, auf dramatische Spannung verzichten kann. Jetzt, drei Jahre nach diesem Satz, würde ich das nicht mehr so formulieren! Es ist dann doch zu viel passiert.“
Anmerkung:
Das Gespräch fand im August 2000 statt. Seit 2009 ist Harzer festes Mitglied des Ensembles am Thalia Theater in Hamburg. 2011 wurde Harzer für seine Darstellung des Marquis Posa in der Hamburger Inszenierung von Don Karlos erneut als „Schauspieler des Jahres“ ausgezeichnet. 2012 sprach er den Stephen Dedalus im Hörspiel "Ulysses" nach James Joyce, dem mit einer Laufzeit von mehr als 22 Stunden bis dahin längsten Hörspiel des SWR und einer der aufwändigsten Hörspielproduktionen der ARD. Harzer wurde auf der Frühjahrs-Mitgliederversammlung der Akademie der Künste Berlin am 25. Mai 2013 als neues Mitglied in die Sektion Darstellende Kunst gewählt. (Quelle: Wikipedia)
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